30.08. – 06.09.2008: Outdoorwoche am Gardasee

Erster Tag Sonntag 31.8.2008  – „Und wir kriegens doch rein“.

Peter staunte nicht schlecht, als ich am Morgen des Abfahrtstages nochmals einen großen Rucksack anschleppte, neben den ganzen Sachen, die schon am Vortag in sein Auto geladen worden waren. Als dann Claudia ihm in ihrer Wohnung zeigte, was noch alles rein musste: eine große Gasflasche, ein Campinggrill, diverse Rucksäcke, Taschen und manches andere lebensnotwendige Zeug, war

erstmal eine kleine Krisenstimmung in der Luft. Und dabei hatte Claudia sogar auf  ihr softiges Kopfkissen verzichtet, nur auf Rücksicht auf den knapp bemessenen Stauplatz. Als sie aber hörte, dass ich auch mein blaues Kirschkernkissen dabei hatte, musste sie doch nochmals schnell mit dem Aufzug in die Wohnung und besagtes Kissen holen, denn frau/man musste es auch so sehen: eine gutes

Kissen war die halbe Garantie für einen gelungenen Urlaub, denn was gab es Schlimmeres als schlecht gelaunte Menschen am Morgen.

Die Fahrt an war an sich stressfrei und als wir irgendwann so gegen zwei Uhr, es muss wohl so ein paar Minuten nach Brescia gewesen sein, einen Zipfel der Südseite des Gardasees mit der auffälligen Landzunge, die nach Sirmione hinausging, mit den Augen erhaschen konnten, staunten wir ob unseres ungeschlauchten Gefühls nach doch fast sieben Stunden Autofahrt. Auf dem Weg  an der westlichen Seite des Gardasees hoch in den Norden zu unserem eigentlichen Reiseziel, fuhren wir auf der Suche nach einer Zwischenbaderei – so eine Vorstellung von einem Traumsandstrand schwebte uns vor Augen – noch die  Uferstraße von Maderno ab, ja wir entdeckten sogar mit vielen Menschen

gespickte Sandflächen direkt am See, mussten uns aber aus Gründen mangelnden Parkplatzes wieder von dannen machen und uns wieder auf die mit  zahlreichen Tunneln durchsetzte Uferstraße machen. Es ging angeblich durch insgesamt 40 solcher höhlenartig geformten Bauwerke, ja wir versuchten anfangs sogar mitzuzählen, gaben es aber so nach 4-5 Tunneln schon auf, weil die ganze Zählerei uns zu arg abgelenkt hätte von der eindrucksvollen Kulisse ringsherum: Italienische Landhäuser auf zypressenbestandenen Hügeln, reich verzierte Grands Hotels jenseits der Straße, die Bergkette des MonteBaldoMassivs und vor allem der Blick auf das weite Wasser mit seinen vielen Kites und Segeln, die nach Norden hin immer mehr zunahmen.

Als wir dann endlich eingecheckt hatten auf unserem 4-Sterne Campingplatz mit seinen vielen Annehmlichkeit wie Olivenhain, Swimmingpool, Cafebar und nettem Staffpersonal, mussten Claudi und ich erstmal eine Erfrischung im Pool abholen, bevor wir uns dranmachen wollten, unsere Zelte auf einer der unteren Terrassen  zwischen Olivenbäumen mit ihren interessant verschlungenen Stämmen

aufzustellen. Als dann schließlich der letzte Handgriff getan war und sogar die Wäscheleine zwischen den Bäumen gespannt war, war auch erstmal die Luft draußen und es dauerte bis gegen Abend bis wir uns wieder zusammengefunden haben und eine kleine Haushaltsberatung durchführten. Wir

einigten uns auf eine gemeinsame Haushaltskasse und bestritten daraus unser erstes gemeinsames Mahl, das aus einer tollen Schinken-Sahne-Zucchini-Soße mit Pasta bestand, wie es in einem Restaurant auch nicht viel besser geschmeckt  hätte. Da waren auch die drei Wespenstiche an beiden Armen und am rechten Fuß vergessen, die ich mir zugezogen hatte, weil ich mich erdreistet hatte, mich neben ein Wespennest zu postieren, als es darum ging zu überlegen, wo denn wohl der geeignetste Platz für die Zelte wäre.

Draußen war es unwahrscheinlich mild, wir sahen die Lichtersilhouette der Stadt weiter unten und hörten sogar im Hintergrund ein paar einzelne Grillen, Peter sorgte für zusätzliches stimmungsvolles Zubehör, indem er ein paar Teelichter  aufstellte, die aber erst so richtig zur Geltung kamen, als wir den künstlichen Beleuchtungen, die alle zwanzig Meter aufgestellt waren, im wahrsten Sinne des

Wortes den Hals abdrehten: Wir drehten einfach solange den blendenden Schirm  im Kreis, bis der Innenkabel des Standrohres, durch das es ging, dermaßen verdreht war, dass er riss und wir von

diesem penetranten Geleuchte befreit waren, das uns dann später auch im Zelt wie heller Vollmondschein beim Schlafen belästigt hätte. So gegen Mitternacht  nach dem ein oder anderen Wein oder Bier war dann auch für uns Zeit abzutreten  und Kontakt mit der Isomatte aufzunehmen.


Montag –  „In einem Land vor unserer Zeit“

Bis der Campingplatz so richtig zum Leben erwachte, wurde es neun. Für die Frühaufsteher wie mich, waren – wenn noch alles auf dem Platz schlief – diese Stunden die schönsten. Ach wie herrlich war es da, seine Bahnen im Swimmingpool zu drehen oder in aller Ruhe einen Capucchino hingelümmelt an der Campingplatzbar zu trinken oder einfach nur auf einer Bank zu sitzen und zur Stadt mit ihren Bergen im Hintergrund zu schauen. Als dann alle beim Weißbrotfrühstück versammelt waren, waren wir uns alle einig, dass der mitgebrachte Cappucchino auch nicht schlecht schmeckte und dass es echt angenehm war, schon am Morgen bei lauwarmer Luft draußen sitzen zu können und das sogar mit kurzer Hose. Der Himmel sah heute allerdings etwas bedeckt aus und ließ auch etwas Regen erwarten. So gegen elf machten wir uns dann auf die Socken und da kamen schon ein paar Spritzer von oben, als wir im Auto zu einem urigen Klamm bei Drena fuhren, durch den wir klettern wollten. Den Sentiero attrezatoRio Sallagoni. Dort angekommen, war es aber schon wieder trocken und der Himmel zeigte immer mehr blaue Stellen, es sei denn man kam an den Schluchtenwänden, an denen das Stahlseil entlangführte etwas ins Schwitzen oder man stolperte vor lauter Fotografieren unbedacht in den flachen Bergklamm. An manchen Stellen fiel das Wasser von weit oben in die Tiefe, die ganze Zeit hatte man den Eindruck, man sei eher in einer Höhle und wenn wir nach oben schauten war eher nur durch einen schmalen Spalt der jetzt blaue Himmel auszumachen. Manchmal zwischen den einzelnen Höhlenabschnitten kamen studioartig anmutende Ausschnitte von Landschaften unter d ie Füße, bewachsen von schönen Farngarten und anderen Gewächsen, aber alles mit einem Touch von dinoartiger Urigkeit und dazwischen der sich entlangwindende glasklare Bach. Einfach irgendwie unwirklich schön. Zum krönenden Abschluss kam eine 3-SeilBrücke in größerer Höhe über den Bach gespannt, die beim Begehen ganz schön ins Wackeln kam, wenn man nicht aufpasste. Danach ging es wanderwegmäßig durch überdimensional große, hoch aufgerichtete Felsplatten, entlang an überhängenden Felswänden und unter Felsdächern, unter denen große Spinnwebenkonstrukte und staubtrockene sandartige Erde zu finden waren immerr mehr nach oben bis zu einem Castello, an dem wir die erste Rast machten, bevor es wieder steil nach unten durch mediterrane Buchenwälder runterwärts Richtung Auto ging.


Dienstag Dritter Tag 2.Sep

Heute wollten wir uns einmal am Hausberg versuchen, zumindest mal gehörte der Klettersteig Sentiero Susatti zu dem über Riva liegenden Rocchettamassiv. Und das konnten wir auch von unseren Zelten aus sehen Los ging es nach dem Frühstück zum kleinen Bergdorf Biacesa, das auf ca.500 Meter Höhe lag und das mit ein paar Steinbrunnen und ein paar zum Zerfall neigenden alten Häusern schnell durchlaufen war. Unser Weg ging erst auf einer Höhe durch dampfenden Mischwald weit über dem Talgrund, auf dem wir ein zerfallenes Kirchenschiff mit seinen gotischen Rundfenstern ausmachen konnten, das so langsam durch wuchernde Vegetation eingenommen wurde. Gern hätten wir mehr über seine Vergangenheit gewusst. Bald wurde unser Interesse durch den eindrucksvollen Blick auf den Gardasee eingenommen, wie er sich uns noch oft aus unterschiedlichen Richtungen zeigen sollte. An einem besonders schönen Punkt machten wir Rast und schauten in die Schlucht unter uns und ins sich jetzt zeigende Riva mit seiner langen Uferpromenade hinüber. Auch unseren Campingplatz am Monte Bondone konnten wir ausmachen. Bald ging es auch schon los mit unserer Kletterei auf dem Susattisteig. Gleich zu Anfang wollten steile Felsaufschwünge gemeistert werden, später ging es dann direkt am Felsgrad hoch, ab und an zeigten sich uns noch von Menschenhand geschaffene Höhlen und Felsunterstände, die noch vom Ersten Weltkrieg stammen müssten. Ein verrostetes Blech auf dem Weg gab uns Anlass zur Frage, ob es sich vielleicht um ein Eisenteil aus damaliger Zeit handeln könnte, oder  einfach um einen korrodierten Colabüchsenboden. Ab und zu gab es Meter, wo man etwas überlegen musste, oft wurde man dafür aber auch mit einem herrlichen Panoramblick belohnt. Als wir dann unter der Metallfahne in italienischen Farben auf dem 900 Meter hohen Cima Capi saßen, schmeckte das mitgebrachte Essen besonders gut und wir kamen mit ein paar Leuten ins Gespräch, die auch sportlich unterwegs waren, darunter zwei Berlinerinnen , die uns auch noch fotografieren durften.

Am Himmel zeigten sich die größeren dunkleren Wolkenformationen, die befürchten lassen mussten, dass wir eventuell noch eine kleine Überraschung erwarten konnten. Wir hofften nur, dass wir zumindest mal den eisenbewerten Teil des nun folgenden Abstiegs hinter uns bringen konnten, bevor es losging.

Glücklicherweise ging alles gut und als wir durch schönen Laubwald gingen, kurz Rast machten am Bivacco Arcioni, einer Selbstversorgerhütte, auf der es außer einer halben Flasche Olivenöl nicht einmal Wasser gab, das wir dringend benötigten. Hatten wir doch so einige Liter davon auf der Tour verloren. Vorbei ging es an der schönen Kapelle San Giovanni und irgendwann war es auf einmal wieder sehr sonnig und wir fassten den Entschluss, heute im Anschluss gleich noch ins Wasser des nahe gelegenen Ledrosees zu springen, was wir dann auch tatsächlich in die Tat umsetzten. Es war einfach herrlich, auf den See hinauszuschwimmen und gleichzeitig die bergige Umgebung aufzunehmen, die von allen Seiten den See umgab.

Jetzt machte sich auch ein starkes Hungergefühl bemerkbar, was wir in einem Gasthof am See auch mit Zufriedenheit stillen konnten. Die Pizzen waren ungefähr doppelt so groß wie die Teller und schmeckten hervorragend gut.


Vierter Tag Mittwoch

Heute ging es in die Nähe von Dro, wo wir erstmal einen Supermarkt suchten, wo wir Vesper für unsere langen Touren besorgen wollten. Leider erwies sich das große Gebäude an der Hauptstraße als ein riesiger Schuhsupermarkt. In einem kleinen Dorf eins weiter mit Namen Cenziga fanden wir zumindest einen Minimarket, dessen Sortiment zum Glück für uns ausreichte.

Wir stellten das Auto in der Nähe einer Brücke, die über die Sarche ging, ab und kamen Fuß auf einen sonnigen und steinigen Weg, der durch Reb- und Strauchlandschaften führte. Nach einigen Minuten sollte sich aber unser Weg trennen: Carola und Peter wollten einen steilen Aufstieg über die Felsgruppen Richtung San Giovanni auf 1000 Meter Höhe in Angriff nehmen, ausgehend von ca. 100 Meter Meereshöhe, Claudia und ich wollten eine ausgewachsene 9-Seillängentour wagen, die wir im Internet gefunden hatten. Bald fanden wir die richtigen Felsen, mussten aber erstmal frühstücken, weil wir noch nichts gegessen hatten und auch weil vor uns noch drei Männer und eine Frau sich gerade fertigmachten für die erste Seillänge.

Der Fels war recht rauh und die ersten hundert Meter recht leichtfüßig zu erobern und die ersten zwei Drittel waren recht schnell geschafft, vor allem auch deshalb, weil wir fast immer die ganze Seillänge von 50-60 Metern auskletterten. Das schwierigste Stück ganz oben wartete aber noch auf uns.

Gerade als ich mich mit einer Bandschlinge an einem Eisenring im Fels eingebunden hatte, hörte ich plötzlich, dass von oben ein Krachen kam, das meinen Blick sogleich nach oben lenkte. Binnen Bruchteilen von Sekunden schlugen in fast nicht mehr endendem Staccato dutzende von faust- bis handtellergroßen Gesteinsbrocken auf uns nieder. Wir hatten nicht mal mehr Zeit und auch nicht die Möglichkeit, rechtzeitig in Deckung zu gehen. Wir befanden uns auch in genauer Falllinie, so dass wir so gut wie jeden Stein abbekamen. Die meisten schlugen auf unsere Helme nieder, einige trafen uns auch am Körper. Als ich zwanzig Meter nach unten guckte, nämlich dahin wo vorhin noch Claudia stand, bekam ich einen Schreck, weil ich sie nicht mehr ausmachen konnte, auch auf mein Rufen kam erstmal gar nichts. In diesem Moment dachte ich, jetzt ist alles zu spät und das, was man nie gedacht hat, dass es auch mal einen selbst treffen könnte, war eingetreten. Dann sah ich plötzlich etwas Buntes, sich aufrichten. Ich rief hinunter und fragte, ob alles in Ordnung sei, was sie mir auch bestätigte, in einer Art, die mich vermuten ließ, dass sie mich vielleicht nur beruhigen wollte. Als ich fragte, ob sie verletzt sei, sagte sie irgendetwas von Blutspritzen oder so etwas, so genau hatte ich es nicht verstanden und ich dachte, wird wohl nicht so schlimm sein und ich überlegte mir, was jetzt wohl ungefährlicher wäre:2 Stunden absteigen und auf der ganzen Strecke nach unten mit Steinschlag zu rechen oder machen, dass wir nach oben kamen und das Steinschlaggebiet hinter uns zu lassen. So zog ich erstmal Claudia nach oben zu der Stelle, wo auch ich stand, damit wir weiterklettern konnten. Als sie sich dann neben mir befand, war irgendwie zu spüren, dass sie mit sich kämpfte, und dass sich auch bei mir so eine Angst breitgemacht hatte, die ich mit Konzentration auf unser weiteres Vorgehen zu bewältigen versuchte.

Wenn ich daran dachte, dass wir jetzt ohne Helm mit hundertprozentiger Sicherheit nicht mehr leben würden und dass wir ein unwahrscheinliches Glück hatten, dass uns die Steine nicht kaputtgeschmettert hatten, wurde mir erst so langsam das potentielle Ausmaß bewusst und ie Situation, in die wir uns manövriert hatten. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch gar nicht, dass Claudia am Schlüsselbein eine klaffende Wunde hatte und auch ihr Helm ziemlich ramponiert war. Erst als ich das Seil ordnen wollte, erkannte ich, dass an manchen Stellen viel Blut klebte und dass etwas Schlimmeres passiert sein muss. In diesem Moment etwa fing es auch noch an zu regnen an, was die Katastrophenstimmung noch verstärkte. Meine Karabiner lagen alle zehn Meter weiter unten verstreut, weil ein schwerer Stein meine Klettergurtschlaufe durchgeschlagen hatte. Jetzt bekam ich so richtig Panik, ich merkte schon vorher, dass meine Hände zitterten und dachte an den Abstieg. Was passiert, wenn wir keine Abseilstellen finden und wir am blanken Fels hingen und keinen Boden unter den Füßen bekämen? Was ist, wenn die Sanduhren nicht halten, an denen unser Seil und wir aufgehängt waren oder wenn die Schlinge riss. Ich bekam ein total schlechtes Gefühl, weil das Gelände eigentlich nicht zum Abseilen vorgesehen war und wir schon beim Aufstieg gesehen hatten, dass viele Zwischenhaken fehlten.

Und dann dachte ich daran, was passiert, wenn Claudia abstürzte, nur weil ich eine nicht sichere Abseilstelle ausgesucht hatte oder weil ich den falschen Knoten gemacht hatte und die Schlinge aufging. Ich war mir nämlich plötzlich nicht mehr sicher, ob auf eine Sanduhrschlinge genau dieser Knoten kam, den ich machen wollte. Und gleich die zweite Abseilstelle war eben so eine von mir gebaute Schlinge, der ich nicht so richtig traute. Zwar ließ ich mich selbst noch vorsichtig an ihr ab, doch beim Abseilen dachte ich noch, dass kannst du Claudia nicht zumuten; dann machte sie, als ich hoch guckte noch Anstalten, sich aus der Sicherung auszuklinken und ich dachte, jetzt stürzt sie gleich ab, weil sie doch an einer ziemlich ausgesetzten Stelle stand. Ich schrie hinauf, was sie denn mache und gleichzeitig musste ich den nächsten Abseilpunkt finden, hatte aber keine große Hoffnung eine geeignete Stelle zu finden. Ich dachte nur, hoffentlich baut sie da oben keinen Scheiß. Das größte denkbare Glück, was uns passieren könnte, war plötzlich in Sichtweite, zwei echte Bühlerhaken nebeneinander, ich konnte sie richtig sehen und ich dachte, Wahnsinn, wenn wir da eingebunden sind, brauchen wir für die nächsten 20 bis 30 Meter erstmal keine Angst zu haben, dass wir mit dem Seil nach unten in die Tiefe stürzten. Und unser Bangen ging weiter. Hoffentlich kam an der nächsten Stelle wieder ein Haken und hoffentlich reichte das Seil auch dahin. Es reichte und zwar gerade so, sonst wären wir ziemlich verzweifelt gewesen. Dann ging es weiter: die nächste Abseillänge: Diesmal reichte das Seil nicht ganz, es fehlten noch ca.5 Meter. Ich ließ erstmal Claudia nachkommen und fragte sie, ob wir uns das zutrauen konnten, zu Fuß zum Eisenringe unter uns abzusteigen, sie antwortete ganz cool, ist doch kein Problem und sie ging auch als erstes. Souverän kam sie an dieser lebenswichtigen Stelle an und wir hatten plötzlich das Gefühl, der Hölle gerade entflohen zu sein und das Schlimmste hinter uns gelassen zu haben. Wir hatten es bis hierher geschafft und wir konnten auch schon gut den Steinweg weiter unten erkennen, auf dem wir anmarschiert waren. Ein Gefühl von unendlicher Erleichterung überkam mich, was jetzt noch kam, konnte gut gemacht werden, denn auch wenn wir keinen Haken mehr finden würden, es gab ab jetzt auch Bäume, an denen wir uns zur Not festmachen konnten. Und genau das mussten wir dann auch zwanzig Meter weiter unten. So langsam merkte ich aber gleichzeitig, dass mich die Gedanken an die Beinahe-Katastrophe einholten und ich nicht mehr ganz bei der Sache war. So wollte ich doch glatt das Seil schon einholen, bevor Claudia zu mir runtergekommen war.

Als ich dann den Seilzipfel zehn Meter über mir nach oben verschwinden sah, dämmerte es mir, dass ja Claudia noch gar nicht unten war. Panikartig und wütend auf mich selbst kletterte ich jetzt frei zum Zipfel nach oben, bekam ihn zu fassen, kletterte wieder nach unten und zog ihn dabei wieder nach und dachte nur, hoffentlich hat sie das nicht mitbekommen, sonst kriegt sie noch Panik, wenn sie sieht, zu was ich in der Lage bin. Zum Glück war sie zu diesem Zeitpunkt noch auf Toilette und hatte sich noch nicht ins Seil gehängt, bevor ich wieder die beiden Seilenden auf gleicher Höhe hatte.

Die letzte Seillänge wartete. Wir konnten es fast nicht glauben, jetzt bald dem Unheil ganz entronnen zu sein und wir kamen tatsächlich mit beiden Füßen auf den Waldboden an. War das schön, wieder auf der Erde zu stehen. Jetzt erst sah ich, dass das Shirt von Claudia eine große durchgeblutete Stelle über der Brust hatte und das Loch an ihrem Schlüsselbein ziemlich auseinanderklaffte. Es war nur gut, dass sie das selber nicht so sehen konnte, denn dann wäre ihr bestimmt übel geworden. Als wir dann unsere Sachen geordnet und verpackt hatten, was uns ziemlich schwer gefallen ist, weil wir eigentlich nur noch hinliegen und gar nichts machen wollten, machten wir uns auf den Rückweg und trafen bald auf Carola und Peter, die sehr glücklich von ihrer großen Tour zurückgekehrt waren.

Als wir alle so langsam wünschten, dass jetzt erstmal ein schöner Abschluss gut anstehen würde, gingen wir auf den Wunsch von Claudia ein, noch hier im Ort, wo das Auto stand, irgendwo einzukehren und die vielen Erlebnisse erstmal setzen zu lassen. Dazu gab´s guten italienischen Cafe und tolle Eisteller und einen Cognac, um die Wunde am Schlüsselbein zu desinfizieren.

Wieder auf dem Zeltplatz angekommen, erwartete uns erstmal gegen Dunklerwerden ein ausgewachsenes Gewitter, das gar nicht mehr aufhören wollte und unseren Zeltplatz in eine nasse und dreckige Angelegenheit verwandelte.

Die Zeit des Regens nutzte ich, um für die geschundene Claudia und mich ein Pastaessen zu richten.


Donnerstag

Nach drei Tagen Action wollten wir mal etwas ganz anderes machen oder sogar gar nichts. Clau fuhr wie Käptn Blaubär mit Schiff nach Malcesine und zurück, Carola mit dem Fahrrad ins Sarcatal, Peter schlief mal so richtig aus und machte einen Stopf- und Nähtag und ich trieb mich tagebuchschreibend in den Cafes und Eisdielen von Riva herum. Abends hockten wir dann wieder zusammen und Peter credenzte etwas aus einem alten Geheimrezept seiner Mutter: Bratkartoffeln mit Speck und Zwiebeln. Dieses Geheimrezept musste wohl jede Mutter kennen, stellten wir dann fest, weil wir es auch alle kannten. Nach dem Essen musste dann wieder unsere Leber dran glauben bis der Rotwein uns so müde machte, dass wir in die Koje fielen.


Freitag

Der Himmel war zum ersten Mal morgens ziemlich bedeckt und es sah nach Regen aus. Ein idealer Tag, um die Spielsachen auszupacken. An den Tischen unten an der Bar spielten wir in einer neuen Identität als Jäger, Schamane und Heilkräutersammler in einem aufregenden Steinzeitenmenschenspiel. Dabei musste Peter die traurige Erfahrung machen, dass durch mehrere Erdbeben mehrere seiner Stammesmitglieder getötet wurden. Mittags gingen wir in eine benachbarte Pizzeria, wo wir auch vom „Spritz“ sehr begeistert waren. Was wir spätnachmittags machten oder auch abends kriege ich leider nicht mehr zusammen, ob wieder mal der Wein dran schuld war.


Samstag

Heute ging es auf den Monte Bondone, den Hausberg der Trientiner. Clau und ihre Freundin wollten eine Wanderung machen, wir, Peter und ich wollten den gleichen Berg, nämlich den 1933 Meter hohen Monte Mugon, über den Klettersteig via ferrati Pero Degasperi errreichen.

Zuerst ging der Weg über begraste oder bewaldete Bergrücken, bis ein fast nicht sichtbarer Weg an steilem Grashang Richtung Klettersteig führte. Doch was war da für ein Schild aufgestellt? Es stand doch glatt drauf, dass der Steig gesperrt sei. Und dafür sind wir so weit gefahren? Gut, die Wanderung bis hierher war nicht schlecht, schließlich gab es die ganze Zeit einen wunderbaren Tiefblick auf das Etschtal mit der Stadt Trient, doch hatten wir uns doch ganz besonders auf diesen Steig gefreut, weil es Peter´s erster alpiner sein sollte. Schließlich wanderten wir wieder auf dem Grat zurück zum Auto, wo wir Clau und ihre Freundin in einem Café antrafen, wie sie gerade einem showmachenden Italiener den Laufpass geben wollten.

Den Abend will ich hier lieber nicht beschreiben, weil es dort zwischen uns in einem Restaurant in Arco die erste richtige blöde Auseinandersetzung gegeben hatte, die nicht besonders schön war. Trotzdem hatten wir uns glücklicherweise zum Schluss wieder eingekriegt, auch wenn wir so manche Feder lassen mussten.

Am Sonntag ging es dann zurück, den Vormittag verbrachten wir noch in Riva in einem schönen Innenhof mit frühstücken, mittags brachen wir dann auf, machten noch einen Zwischenstop in Como, was aber ziemlich überlaufen und ziemlich teuer war und kamen gegen zehn Uhr abends wohlbehalten zu Hause an….

Wir bedanken uns bei Johannes für den tollen Bericht !

Bilder von Johannes:

Mit Sicherheit werden wir dem größten italienischen See nochmals einen Besucht abstatten. Evtl. nächstes Jahr im Mai und Juni, wenn an den Berghängen die zahlreichen endemischen Pflanzen blühen.